Ganz nach dem Motto Jack Sparrows – entschuldigt: Captain Jack Sparrows – „Wohin auch immer wir gehen wollen, dorthin gehen wir!“ steht es uns in Dead Reckoning vollkommen frei, was wir machen. Die See erkunden, Inseln erobern und befestigen, Handel betreiben oder Kämpfen…
Also ein Ableger des 4X Genres: Explore, Expand, Exploit und Exterminate. Im Deutschen 4A: Auskundschaften, Ausbreiten, Ausbeuten und Auslöschen. Wobei letzteres nur in der light Variante vorkommt, denn niemand kann aus dem Spiel ausscheiden. Wen die ausufernde Spielzeit in anderen Titeln des Genres, wie beispielsweise Twilight Imperium, vom Spielen abhält, dem könnte Dead Reckoning durch die angenehme Spielzeit von ungefähr zwei bis drei Stunden gut gefallen.
Ein weiterer Aspekt, den das Spiel auszeichnet, ist das Card Crafting. Ein Mechanismus, den der Autor John D. Clair selbst entwickelt hat und Deck Building ermöglicht, ohne jemals neue Karten zu bekommen, da die Vorhandenen verändert werden.
Ob Dead Reckoning besser über Bord geworfen werden sollte oder für ewig die heimischen Hallen zieren darf, gilt es herauszufinden. Ich kann nur sagen nicht alle Schätze sind Silber und Gold.
Trinkt aus, Piraten – Yo Ho
Wie jeder und jede gute Pirat*in weiß, geht es im Leben eigentlich nur um eines… oder höchstens um zwei Dinge – RUM und GOLD. Um am Ende als Herrscher*in der See zu gelten, darf der Rum getrunken werden, nur das Gold ist es was glänzt. Wer am Ende einer Partie am meisten davon hat gewinnt. Allerdings werden dann auch Gebäude, Crewaufwertungen, Schiffserweiterungen, spezielle Boni und die Kontrolle von Inseln in Gold aufgewogen.
Bei Spielen, die so viele Freiheiten bieten ist es immer interessant wann eine Partie zu Ende ist. Eine vorgegebene Rundenanzahl ist nicht sinnvoll, da das die Möglichkeiten zu sehr einschränkt. Das Spielende wird also erst dann ausgelöst, wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt. Vergleichen lässt sich das mit den Bedingungen bei Terraforming Mars oder den aneinander vorbeiziehenden Markern bei Arche Nova. Liegen nach einem Zug mindestens vier Erfolgsplättchen einer Farbe auf dem Hafenfeld, dann wird das Spielende ausgelöst und alle anderen sind noch einmal an der Reihe. Ein solches Plättchen darf platziert werden, sobald die Bedingung einer der neun Erfolge erfüllt ist. Platzierte Erfolgsplättchen sind also wertvoll, diese loszuwerden ist erstmal ein guter Anhaltspunkt für eine Strategie.
Trinkt aus, Piraten – Yo Ho
Im Laufe der Partie sind die Seefahrer*innen im Uhrzeigersinn abwechselnd an der Reihe. Während des eigenen Zuges werden zuerst Karten ausgespielt, deren Fähigkeiten die Möglichkeiten in dieser Runde bestimmen: Zur Fortbewegung brauchen wir Segel, Flaggen ermöglichen es uns Inseln zu erobern, durch Fässer gelangen wir an Waren und Kanonen bescheren uns Kampfkraft.
Zuerst setzt eure Crew die Segel, durch die neue Angriffsfläche für den Wind macht die Windläufer sofort einen Ruck nach vorn, der Captain grinst breit über beide Ohren und zeigt seine schwarzen Zähne. Durch den Kurs gen Süden treibt es euch in noch unerforschte Gewässer, was euch erlaubt das Ozeanfeld zu wenden auf dem ihr nun steht. Ihr entdeckt die Insel „der Teufel“ – Ein weiterer Schritt „Auf zu neuen Ufern“, ein Erfolg für Entdecker*innen, den ihr erreichen wollt.
Das Glück steht euch bei – Euer Freibeuter ist ausgeschlafen und nüchtern, er findet einen günstigen Platz zum Anlegen, wodurch ihr genug Einfluss auf die Insel nehmen könnt, um sie zu erobern. Im Moment habt ihr nicht die Mittel, um das Land zu befestigen, außerdem liegt euer Erster Offizier betrunken im Schiffsbauch… zu einem späteren Zeitpunkt könntet ihr euren Offizier immer noch nutzen um euer Eigen vor dem Einfluss anderer Seefahrer*innen zu schützen.
Der Wind steht noch gut, ihr ändert euren Kurs und fahrt Richtung Westen. Voller Entzücken entdeckt ihr ein Handelsschiff, dass ihr überfallen wollt. Der Kanonier hat die Kanonen bereits vorbereitet und dank eures ausgebauten Schiffes fehlt es euch auch sonst nicht an Kampfkraft. Da das Handelsschiff fast nur billige Waren geladen hat hielt es ihr Captain wohl nicht für nötig genug Ressourcen zur Verteidigung zu laden. Durch eure sechs Kanonen dürft ihr sechs Würfel in das Würfelschiff werfen, euer Opfer allerdings nur drei.
Das Ergebnis ist eindeutig. Drei Treffer Mittschiffs, das Handelsschiff muss sich geschlagen geben. Ihr plündert noch ein paar Waren und schnappt euch ein wenig Gold, außerdem hat eure Crew an Erfahrung gewonnen, weswegen eines ihrer Mitglieder eine neue Fähigkeit erlernt (Kartenbelohnung). Eure Möglichkeiten sind für den Moment erschöpft, ein erfolgreicher Zug geht zu Ende, hoch die Becher.
Trinkt aus, Piraten – Yo Ho
Card Crafting heißt Karten basteln … Karten gestalten … Karten entwickeln… Zugegeben sind das keine besonders schönen Übersetzungen für einen so passenden englischen Begriff. Das Card Crafting beschreibt den Umstand, dass sich die gleichen Karten im Laufe einer Partie weiterentwickeln, sie verändern sich, werden besser und individuell.
Die Crewmitglieder werden durch zwei unterschiedliche Arten verändert. Einerseits werden die Karten selbst in der Hülle gedreht und gewendet, was einem Levelaufstieg des jeweiligen Mitglieds entspricht. Andererseits können während des Spiels die teilweise durchsichtigen Verbesserungen ergattert werden, die in die Hüllen geschoben werden und den Karten neue Fähigkeiten geben. Um das möglich zu machen werden die Plastikhüllen gebraucht, die, wenn dann tatsächlich drei Verbesserungen darin stecken, ziemlich dick werden. Dieser Umstand und der, dass die Reihenfolge dann im Kartenstapel erahnt werden kann, werden in der Anleitung sogar beschrieben.
Hier ist also einiges an strategischen Überlegungen möglich. Die größte Frage wird wohl sein, ob die Crewmitglieder sehr spezialisiert oder lieber universell einsetzbar gestaltet werden sollten. Da der eigene Kartenstapel aus nur 12 Karten besteht, von denen am Ende des eigenen Zugs mindestens vier gezogen werden, ist der Überblick über die zukünftigen Aktionsmöglichkeiten meist recht gut gegeben.
Der Würfelchenturm in Schiffsoptik macht auf dem Spieltisch einiges her. Auch spielerisch kann er überzeugen. Die Idee hinter dem Mechanismus ist jedenfalls großartig. Pro Kanonensymbol darf ein Würfelchen für den Kampf genutzt werden. Für einen menschlichen Gegner gilt das gleiche, bei Handelsschiffen ist die Anzahl vorgegeben. Beginnt die Schlacht, werden alle Würfel gleichzeitig in das Schiff geworfen – und hier kommt der Clou: Egal wie viele Kanonen (Würfel) für den Kampf zur Verfügung stehen, mit etwas Pech werden keine Treffer erzielt… ABER dafür wird umso mehr geplündert.
Thematisch schön eingebettet, da Kanonen einfach nicht sonderlich präzise sind und dennoch wird durch die Ausschüttung von Belohnungen gegen den Frust vorgegangen. Wer mehr Treffersymbole erwürfelt, gewinnt den Kampf. Bei Fässern oder Gold darf man sich die entsprechende Ressource aus dem Vorrat nehmen, es wird nichts von anderen gestohlen – es sei denn, das gegnerische Schiff muss das fünfte Feuer platzieren und wird versenkt.
Betonen möchte ich die Variabilität und den damit einhergehenden Wiederspielreiz von Dead Reckoning. Dadurch, dass in einer Partie nicht alle Crewmitglieder gelevelt werden können und durch die vielen Verbesserungen für die Crew und das Schiff muss in jeder Partie aufs Neue zwischen den Optionen gewählt werden. Das ist dabei keinesfalls ausufernd oder unübersichtlich, sondern hat für mich genau das richtige Maß.
Wie bereits erwähnt gibt es neun Erfolge, die es zu erfüllen gilt, um deren durchaus lukrative Belohnungen einzuheimsen. Um als legendär zu gelten, müssen vier Kämpfe gegen andere Schiffe gewonnen werden, wer auf einen Schlag 12 Waren abgibt, darf sich von nun an Handelsikone nennen und sobald das eigene Schiff die vierte Verbesserung bekommen hat, gilt es als Eliteschiff. Das sind drei der vorhanden Erfolge.
Insgesamt fühlt sich Dead Reckoning nach einem thematischen, strategischen Eurogame an, bei zwei Spielern mehr als bei vier. Die Glückselemente haben eindeutig nicht die Oberhand. Wer dann aber auf Kampf spielt und am Ende niemals Treffersymbole würfelt wird sich reichlich ärgern!
Dann hilft nur Rum…
Trinkt aus, Piraten – Yo Ho
Die Anleitung begrüßt mit einer schön thematischen Einleitung, einer Auflistung der Komponenten, um dann zum Spielaufbau überzuleiten. Die darauffolgenden Ausführungen über die Spielübersicht, die verschiedenen Phasen und die Wertung ist gut strukturiert und verständlich. Effektiv sind es 15 Seiten Regeln, die durchaus zwei Mal gelesen werden müssen, da es einige Kleinigkeiten zu beachten gilt. Insgesamt beinhaltet sie alles Relevante, es bleiben keine Fragen offen.
Einzuordnen ist Dead Reckoning als gehobenes Kennerspiel, das eine Lernpartie für einen flüssigen Spielablauf voraussetzt. Geschuldet ist das den vielen Symbolen auf den Karten, die einmal verinnerlicht alles schön kompakt darstellen.
Eine Übersicht von Level 1 bis Level 4 der Crewmitglieder ist auch dabei und unverzichtbar.
Die Matrosin sorgt dabei auf Level 4 für einen guten Nachschub an Waren
Trinkt aus, Piraten – Yo Ho
Es ist wie die Ebbe und die Flut. Ernüchternd und trocken doch gleichzeitig aufregend und erquickend. Anfangs ist die Crew jung und dumm, gerade die nötigsten Aufgaben werden erledigt. Doch das ändert sich schnell, die Matros*innen lernen dazu und gewinnen an Erfahrung, das eigene Schiff wird besser und die Gewässer werden erforscht und erobert. Von wenig zu viel, das kann in Dead Reckoning schön beobachtet und gefühlt werden und macht Spaß. Die Ebbe setzt dann ein, wenn im späteren Spiel die eigene Kartenhand aus genau den Crewmitgliedern besteht, die immer noch nichts dazugelernt haben. Dann hilft nur eines – Kombüsendienst!
Durch das Erobern der Inseln, was meist ein hin und her ist, die Kämpfe und die Jagd nach den besten offen ausliegenden Verbesserungen ist die Spielerinteraktion sehr hoch. Wer nur seinen eigenen Stiefel macht und nicht auf seine mit Pirat*innen achtet, wird sich schnell wie Captain Jack Sparrow ohne seine Black Pearl fühlen.
Das Spiel zu dritt und zu viert fühlt sich sehr ähnlich an. Es ist einiges los auf den Gewässern, die Inseln gehen immer wieder in einen anderen Besitz und es gilt aufeinander zu achten. Auch in Dead Reckoning kann die Wartezeit zwischen den eigenen Zügen ein Problem werden. Gerade dann, wenn es die Erstpartie ist. Zu zweit hingegen ist das Spielgefühl ein etwas anderes, gerade deshalb, weil die Anzahl der eigenen Würfelchen begrenzt ist. Diese werden unter anderem benötigt, um den Einfluss auf Inseln zu markieren, den Fortschritt von Erfolgen festzuhalten und auch zum Kämpfen. Stehen keine Würfel mehr zur Verfügung kann der Einfluss auf Inseln verringert werden, um die Marker von dort zurückzunehmen und dann für die neue Aktion zur Verfügung zu haben. Ein neuer Aspekt, der im Spiel mit mehreren nicht so zum Tragen kommt.
Des Weiteren kann allein oder zu zweit kooperativ gegen bis zu zwei Spielgesteuerte Gegner gespielt werden. Die KI ist kartengesteuert, funktioniert ohne Probleme und mit nur wenig Verwaltungsaufwand. Auch solo und kooperativ ist Dead Reckoning durchaus interessant fühlt sich dann aber mehr nach einem Puzzle als nach einem Abenteuer an. Bei einem gemeinsamen Sieg lohnt sich der Becher voll Rum noch mehr, um dann gemeinsam anstoßen zu können.
Trinkt aus, Piraten – Yo Ho
Der Illustrator Ian O´Toole ist bekannt für seine tolle Arbeit. Dead Reckoning hat er ein großartiges Aussehen verpasst. Das Cover macht direkt Lust auf Abenteuer. Nicht nur die Optik, sondern auch die Haptik und die Spielkomponenten können überzeugen. Die Tableaus und Pappplättchen sind ordentlich produziert und die Karten sowie die Hüllen und Verbesserungen haben eine sehr gute Qualität. Meine Befürchtung, dass die durchsichtigen Plastik Verbesserungen zerkratzen hat sich bisher nicht bestätigt.
Beim ersten Öffnen der Schachtel wird man von viel Material etwas erschlagen. Ist erstmal alles ausgepöppelt und einsortiert sieht das ganze anders aus. Fast alle der Marker und Karten können in Schächtelchen untergebracht werden, die im Spielumfang enthalten sind. Vorbildlich!
Einzig die Montage des Schiffes war ein wenig herausfordernd. Wie alles zu erfolgen hat ist gut beschrieben, bei der Umsetzung muss man an manchen Stellen aber sehr gut aufpassen, da das Pappschiff sonst schnell Schaden erleidet. Einmal zusammengebaut hält es aber sehr gut und hat sogar einen Karton im Karton, um geschützt verstaut werden zu können.
Zusätzlich zum Grundspiel gibt es noch Saga Erweiterungen, die kleine neue Events ins Spielgeschehen integrieren. Aus einem Büchlein wird dann ein Text vorgelesen, woraufhin man sich für eine der dort vorgeschlagenen Möglichkeiten entscheiden muss. Je nach Ausgang des Events bekommt man verschiedene Dinge wie Verbesserungen, Waren oder Gold. Außerdem können die Sagas als Kampagne gespielt werden, was das aufeinanderfolgende Spielen mit der gleichen Gruppe spannender gestaltet. Dabei dürfen verschiedene Verbesserungen oder Fähigkeiten mit in die weiteren Partien genommen werden. Jede Crew ist dann direkt von Anfang an schon individuell.
Die kleine Seebären Erweiterung ermöglicht auch das Starten mit individuellen Crews in Spielen außerhalb einer Kampagne.
Trinkt aus, Piraten – Yo Ho
Dead Reckoning hat mich begeistert. Ist der zugegeben etwas schwere Einstieg einmal überwunden, belohnt das Spiel mit einem überragenden Piratenfeeling. Gerade zu dritt und viert kommt eine absolute Abenteuerstimmung auf. Dass die eigene Crew nach den persönlichen Wünschen entwickelt und das Schiff so individuell ausgebaut werden können, macht einfach Spaß.
Ein Wehrmutstropfen ist der Umstand, dass das Spiel zurzeit kaum verfügbar ist. Mit etwas Glück ist eine Kopie über den Sekundärmarkt zu einem humanen Preis zu ergattern. Ursprünglich wurde Dead Reckoning über Kickstarter finanziert, wobei der Preis von ungefähr 80€ für mich absolut in Ordnung war.
Durch die Seebären und Saga Erweiterungen werden dem Grundspiel interessante Neuerungen hinzugefügt, die die Langzeitmotivation erst recht entfachen. Doch auch ohne die Erweiterungen ist Dead Reckoning absolut zu empfehlen. Jede Partie spielt sich wieder frisch und spaßig, was vor allem der großen Varianz zu verdanken ist.
Das Spielmaterial ist toll illustriert und hochwertig, die Tischpräsenz ist durch den modularen Aufbau und das Würfelchenschiff großartig. Als Inlay gibt es einige Schachteln, in denen das meiste Material gut geordnet Platz findet. So bleibt eigentlich nur noch eins zu sagen:
Trinkt aus, Piraten – Yo Ho